Name: Himmel über Charkiw
Rating: 3.9 (94 reviews)
Author: Serhij Zhadan

Was drin ist für dich: Persönliche Eindrücke aus einer umkämpften ukrainischen Metropole.

Am 24. Februar 2022 beginnt der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine. Eines der Hauptangriffsziele ist die Metropole Charkiw im Osten des Landes. Doch die Stadt stemmt sich gegen die russischen Truppen.

Während die Armee die Ukraine an vorderster Front verteidigt, formiert sich dahinter, im Herzen der Stadt, eine Gemeinschaft aus Helferinnen und Helfern. Von ihnen erzählt der Schriftsteller Serhij Zhadan in täglichen Facebook-Posts. So entsteht eine Chronik der ersten vier Monate des Krieges.

Zhadan schreibt darüber, wie die Menschen trotz der Angriffe versuchen, ihr Leben fortzuführen, wie sie sich gegenseitig unterstützen und wie dadurch ihre ukrainische Identität gestärkt wird, die Putins Regime vernichten will.

In diesem Blink zum Buch Himmel über Charkiw, das neben Texten auch viele Handyfotos enthält, haben wir die bemerkenswertesten Geschichten und Momente aus Zhadans Aufzeichnungen gesammelt. Sie drehen sich um alte Männer mit Jagdgewehren, Konzerte in zerbombten Höfen und Kinder, die in Metrostationen ihre jüngeren Kompagnons unterrichten.

Kriegsalltag

Es ist der 6. März. Knapp zwei Wochen sind seit dem russischen Überfall auf die Ukraine vergangen. Noch immer tobt der Krieg. Doch der Himmel über Charkiw wirkt an diesem Tag friedlich. Die Sonne scheint, und beinahe machen sich Frühlingsgefühle breit. Etwas fällt Serhij Zhadan aber auf: Die Menschen drehen sich erschrocken um, wenn von einem Dach die Schneekappen herunterrutschen und auf den Boden krachen. Rums. Keine Bombe, nur Schnee, aber der Krieg ist längst allgegenwärtig. Selbst an einem ruhigen Tag rechnen die Menschen ständig mit Angriffen.

Die erste russische Offensive haben die Bewohnerinnen und Bewohner von Charkiw am 6. März schon hinter sich. Am 27. Februar drangen russische Truppen in die Stadt vor, schafften es aber nicht, sie einzunehmen. Der Widerstand war viel größer als gedacht, nach erbitterten Straßenkämpfen zogen die russischen Truppen wieder ab – Charkiw blieb unter ukrainischer Kontrolle.

Womit die Russen nicht rechneten, das spürt Zhadan vom ersten Kriegstag an: Die Menschen, die nicht fliehen und in Charkiw bleiben, verteidigen ihre Stadt mit unbändigem Willen. Alle tun, was sie nur können. In den Vororten zum Beispiel werden Straßensperren errichtet. Die Männer, die zu alt für die Armee sind, bewachen sie mit ihren Jagdgewehren. Andere, wie Zhadan selbst, helfen bei der Logistik und verteilen Nahrung und Medikamente.

Aber auch wenn die russischen Truppen wieder aus der Stadt abgezogen sind – sie belagern und beschießen sie weiterhin. In Charkiw versucht man trotzdem, so etwas wie einen Alltag herzustellen. Schon Ende März öffnen einige Läden und Restaurants wieder, wenn auch nirgends einen vollen Arbeitstag lang. Das liegt an den Ausgangssperren, die bei drohender Gefahr verhängt werden, meist vom späten Nachmittag bis zum nächsten Morgen. Anfang April pflanzen Gärtnerinnen und Gärtner Blumen im Stadtpark.

Doch der Krieg hinterlässt natürlich seine Spuren in Charkiw. Menschen unterhalten sich über das kaum beschreibbare Gefühl, kürzlich ein Gebäude betreten zu haben, das am nächsten Tag plötzlich weg war. Die Bezirke unterscheiden die Bewohnerinnen und Bewohner nicht mehr wie früher nach Kiezatmosphäre, sondern nur noch danach, wie groß der jeweilige Grad der Zerstörung ist.

Trotzdem – oder gerade weil der Krieg so sehr an der Seele zehrt: Alle sind darum bemüht, einander zu helfen.

Helden

Ein riesiger Ameisenhaufen, hochgeschreckt von einem schmutzigen Stiefel, so kommt Serhij Zhadan Charkiw vor. Damit meint er die vielen Helferinnen und Helfer, die nach dem russischen Überfall ganz unterschiedliche Aufgaben übernommen haben, um einander und ihre Landsleute zu unterstützen. Das Gewusel mag chaotisch aussehen, aber das Helfersystem funktioniert.

Da ist zum Beispiel Mischa Oserow, ein Freund von Zhadan und von Beruf Schauspieler. Das Theater, an dem er normalerweise seinem Beruf nachgeht, hat er gemeinsam mit seinen Kolleginnen und Kollegen sofort zu einem Schutzort umfunktioniert. Der Keller des Theaters steht allen Menschen in Charkiw offen, dort ist man sicher vor Bombeneinschlägen.

Kinder

Eine Mutter stillt ihr Baby. Sie hat es am 23. Februar zur Welt gebracht, einen Tag vor der russischen Invasion. Zweieinhalb Monate später hat es von der Welt noch nicht mehr gesehen als die kalten Wände des Bunkers, in dem es mit seiner Mutter seit Kriegsbeginn wohnt. Es ist der 6. Mai, und Serhij Zhadan besucht ein Unternehmen, in dessen Bunkern sich über vierhundert Menschen verstecken.

Für die Kinder haben sie eine kleine Schule eingerichtet. Als Zhadan dort vorbeikommt, lernt Dascha, ein junges Mädchen, gerade lesen. Ihre Lehrerin heißt Karolina – und ist selbst noch im Schulalter. Für Zhadan ist das eine Begleiterscheinung des Krieges: Die Kinder werden schneller groß und übernehmen Aufgaben der Erwachsenen. So auch der zwölfjährige Kyrylo und sein neunjähriger Bruder Tymofij.

Kultur

Als Schriftsteller hat Serhij Zhadan ein ständiges Bedürfnis: in Worte zu fassen, was ihn bewegt. Aber wie über einen Krieg und seine Gräuel schreiben, wenn man mittendrin ist? Ist nicht so vieles von dem, was an Unrecht geschieht, geradezu unsagbar?

Doch stumm bleiben ist für Zhadan auch im Krieg keine Option. Im Gegenteil. Natürlich kommt zuallererst das nackte Überleben. Aber was, fragt er in seinem Eintrag vom 19. Mai, ist der Sinn des Lebens ohne Kultur?

Worum geht es in Himmel über Charkiw?

Himmel über Charkiw (2022) versammelt Social-Media-Posts, die eindringlich und unmittelbar vom Leben in der ukrainischen Metropole Charkiw nach Beginn des russischen Angriffskrieges erzählen. Geschichten einfacher Menschen und Beobachtungen aus einer umkämpften Stadt geben dir einen Eindruck von den ersten vier Kriegsmonaten.

Über den Autor

Serhij Zhadan ist Schriftsteller und lebt in Charkiw. Er hat zahlreiche Gedichtbände und Prosawerke veröffentlicht, die in über zwanzig Sprachen übersetzt wurden. Für seine Arbeit erhielt er zahlreiche Preise, darunter 2014 der Brücke-Berlin-Preis und 2022 für Himmel in Charkiw der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.