Sechs Lektionen für das 21.Jahrhundert
Staatskunst von Henry A. Kissinger ist ein Buch über die Kunst der Staatsführung. Der Autor teilt seine Erfahrungen und Einsichten über die politische Führung und die Gestaltung von Außenpolitik. Ein inspirierendes Werk für politisch Interessierte.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs befand sich Deutschland in einem desolaten Zustand. Es hatte eine verheerende militärische Niederlage erlitten und in den Augen der Alliierten jedes Recht auf Souveränität verwirkt. Die alliierten Siegermächte hatten das Staatsgebiet in vier Besatzungszonen unterteilt, die sie nun de facto regierten. Die Lebensmittel waren knapp, die Bevölkerung hungerte und die Kindersterblichkeit war doppelt so hoch wie im restlichen Westeuropa. Die Schwarzmärkte florierten, die Post wurde eingestellt und der Zugverkehr funktionierte bestenfalls sporadisch.
Aber noch schwerer als diese Entbehrungen wog die moralische Last. Das kollektive Gefühl der Schuld. In dieser dunklen Zeit brauchte es eine Leitfigur, die die Wunden der Nation heilen und den Weg in die Zukunft weisen konnte. Und eben jene Leitfigur wurde Konrad Adenauer, der frühere Oberbürgermeister Kölns.
Adenauer hatte sich schon vor 1939 gegen Hitler gestellt, und seine erste öffentliche Ansprache nach Kriegsende verlieh dieser Haltung neuen Ausdruck. Im März 1946, in der schwer zerstörten Aula der Kölner Uni, fragte er tausende Zuhörer: Wie konnten die Nazis an die Macht kommen? Wie konnte Deutschland so tief fallen? Für ihn war die Sache klar – das Land musste sich seiner Vergangenheit stellen, um nach vorn zu blicken. Adenauers Worte wurden zur Grundformel dessen, was Kissinger als Strategie der Demut bezeichnet. Deutschland sollte seine historische Schuld anerkennen und sich so diplomatisch in das Europa der Zukunft integrieren.
Dafür bewilligte Adenauer die Zahlung von Israels Reparationsforderungen in Höhe von mehr als drei Milliarden Mark. Und er veranlasste eine Reihe strafrechtlicher Untersuchungen, um die Kriegsverbrechen hochrangiger Nazis aufzudecken.
Adenauer wusste, dass Deutschlands Konsolidierung von der Unterstützung seiner Verbündeten abhing. Also musste es den nationalistischen Größenwahn der zurückliegenden Jahrzehnte überwinden. Deshalb konzentrierte sich Adenauer während seiner Kanzlerschaft auf den Ausbau der Beziehungen zu den USA und die Aussöhnung mit Frankreich – und insgesamt auf eine Annäherung an jene Staaten, die wir heute als „den Westen“ bezeichnen.
Mit Erfolg. Am 5. Mai 1955 wurde die Bundesrepublik Deutschland politisch souverän, und die westlichen Alliierten beendeten dort ihre militärische Besatzung. Nur zwei Tage später reiste Adenauer nach Paris, wo die BRD zum NATO-Vollmitglied ernannt wurde. Seine Strategie der Demut half Westdeutschland, sich als Gesellschaft und Staat zu rehabilitieren.
Staatskunst (2022) ist eine detaillierte Analyse von sechs großen Staatenlenkern des 20. Jahrhunderts. Der ewige Polit-Stratege Henry Kissinger hat sie alle begleitet: von Adenauer über Nixon bis Thatcher. Er erlebte hautnah mit, wie sie ihre Nationen erfolgreich durch schwere Krisen steuerten. Für ihn ist klar: Diese Anführer haben die Konflikte nicht ausgesessen; sie haben sie nicht bloß verwaltet, sondern aktiv gestaltet, um ihre Länder in eine bessere Zukunft zu führen. Diese Blinks bringen ihre politischen Strategien auf den Punkt.
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