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20 min

Warum unsere Kinder Tyrannen werden Zusammenfassung

Oder: Die Abschaffung der Kindheit
von Charlotte Zink | 01.09.2022

Was drin ist für dich: Ein Einblick in die Psyche verhaltensauffälliger Kinder.

Stell dir vor, du bist auf einer Gartenparty und unterhältst dich gerade angeregt mit alten Freunden. Doch dann platzt mitten ins Gespräch ein kleines Kind und ruft: „Schaut mal, was ich gemalt habe!“ Was denkst du, wird passieren?

Vermutlich wird die Unterhaltung sofort beendet, alle zaubern sich ein Lächeln aufs Gesicht und jemand sagt: „Oh, das sieht aber toll aus, ist das ein Elefant?“

Was nach einer harmlosen Situation klingt, sei aus Sicht der Tiefenpsychologie ein ernst zu nehmendes Problem, behauptet Winterhoff. Kinder lernen auf die Art, dass es okay ist, andere zu unterbrechen und sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen. Unser liebevoll anmutendes Verhalten könne dazu führen, dass Kinder anhaltende psychologische Probleme entwickeln.

Welche Ursachen der umstrittene Autor bei der psychologischen Entwicklung verhaltensauffälliger Kinder ausmacht und wie wir seiner Ansicht nach mit unserer modernen Erziehung zu kindlichen Fehlentwicklungen beitragen, erfährst du in den folgenden Blinks.

Dort lernst du außerdem,

  • warum Die Super Nanny eine Erfolgsshow war,
  • weshalb manche Eltern ihr Kind nicht vom eigenen Arm oder Bein unterscheiden können, und
  • wieso du skeptisch sein solltest, wenn es angeblich gestern in der Schule schon Spinat gab.

Die moderne Pädagogik verhindert eine normale Entwicklung der kindlichen Psyche.

Sieben Jahre, von 2004 bis 2011, lief Die Super Nanny im deutschen Fernsehen. Die RTL-Show besuchte Familien in ihrem häuslichen Umfeld, wo eine ausgebildete Pädagogin versuchte, die Eltern in Erziehungsfragen zu beraten. Besonderes Augenmerk galt dabei der Hilfe im Umgang mit verhaltensauffälligen Kindern. Und genau das erklärt den großen Erfolg der Show. Denn viele Kinder werden als kleine Tyrannen wahrgenommen. Und von denen, das kann Winterhoff als langjähriger Kinderpsychiater bestätigen, gibt es immer mehr. Viele Eltern wissen irgendwann einfach nicht mehr weiter, doch woran liegt das?

Den Grund hierfür sieht der Autor in der modernen Pädagogik, die seit den 68ern jede elterliche Autorität ablehnt. So werden Kinder heute nicht mehr als Kinder, sondern als kleine Erwachsene behandelt. Sie gelten als vollwertige Mitglieder der Familie, deren Rechte und Pflichten gleichberechtigt ausdiskutiert werden müssen. Das führt mitunter zu absurden Szenen.

Vor einigen Jahrzehnten zum Beispiel verstand es sich von selbst, dass ein Kind den Tisch deckte, wenn es dazu aufgefordert wurde. Heute hingegen hören die Eltern theatralisches Stöhnen, wenn sie nur bitten, neben den Messern auch noch Gabeln bereitzulegen. Die Eltern bemühen sich dann, ihren Kleinen liebevoll zu erklären, dass Gabeln zum Essen eben wichtig seien und dass sie zum Gedeck gehörten – die einzig richtige Reaktion, wie viele meinen. In Wirklichkeit aber lernen Kinder so nie, andere Menschen samt ihrer Grenzen zu respektieren. Dies wiederum führt zu schweren sozialen Problemen und tief greifenden psychologischen Fehlentwicklungen.

Winterhoffs Schlussfolgerung: Die moderne Pädagogik fußt auf einem falschen Verständnis elterlicher Liebe. Ohne Frage benötigen Kinder unbedingte Liebe, Zuneigung und Geborgenheit. Sie brauchen allerdings auch Grenzen, denn ihre Psyche und Persönlichkeit entwickelt sich nicht automatisch. Erst im Alter von ca. acht oder neun Jahren ist die Persönlichkeit eines Kindes ausgebildet. Wenn Eltern also schwärmen und sagen, ihr Baby habe schon eine richtige Persönlichkeit, dann ist das ein Irrtum.

Die Entwicklung der kindlichen Psyche verläuft in mehreren Phasen. Wenn Kindern in dieser Zeit Grenzen fehlen oder sie nicht als Kinder behandelt werden, kann ihre Psyche auf einer Entwicklungsstufe stehen bleiben. Das Ergebnis sind Kinder, die sich im Alter von zehn wie Dreijährige verhalten.

Kinder zeigen zunehmend Defizite in mehreren Bereichen zugleich, etwa in der Motorik und im Sozialverhalten.

Wie oft haben wir Szenen wie diese im Supermarkt schon beobachtet: Die Eltern legen Waren aufs Kassenband und der Nachwuchs fügt noch ein Überraschungsei hinzu. Wird die Schokolade verwehrt, beginnt das Theater. Erster Akt: schreiend auf den Boden werfen.

Solche Situationen sind normal. Jedes Kind ist hin und wieder wütend oder trotzig und testet seine Grenzen aus. Problematisch ist jedoch, dass die Grenzen akzeptablen Verhaltens sich zunehmend verschieben. Der Autor beobachtet diesen Trend tagtäglich in seiner Praxis. Er nimmt zudem wahr, dass sich unterschiedliche kindliche Defizite häufen und immer öfter auch gesammelt auftreten.

Motorische Defizite sind nur ein Beispiel. So berichtet der Autor von einer Kita, die ihre eigentlich regelmäßig stattfindenden Ausflüge in den lokalen botanischen Garten einstellen musste. Der Grund: Immer mehr Kinder klagten über Beinschmerzen, nachdem sie die ein Kilometer lange Strecke dorthin zu Fuß zurücklegen mussten. Diesen Weg wollten die Erzieher den Kindern nicht mehr zumuten.

Ähnlich schlecht steht es um das Sozial- und Leistungsverhalten der heutigen Kinder. Ihre Konzentrationsfähigkeit sinkt dramatisch und die schulischen Anforderungen werden dementsprechend abgesenkt. So haben Lehrer oft die Anweisung, einen gewissen Notendurchschnitt bei Klassenarbeiten zu erreichen. Sie geben daher inzwischen häufig eine Drei für Arbeiten, die sie früher mit einer Fünf bewertet hätten.

Die vielfältigen kindlichen Defizite haben natürlich Auswirkungen auf den Alltag. Der Fall der fünfjährigen Claudia illustriert das besonders gut. Als ihre Mutter sie einmal vom Kindergarten abholte, machte Claudia buchstäblich aus dem Nichts ein Riesendrama. Sie hatte ihrer Mutter einen imaginierten Muffin „geschenkt“, in den diese dankbar biss. Claudia aber bestand darauf, dass der Muffin erst zu Hause genascht würde – und wand sich fünfzehn lange Minuten protestierend auf dem Boden. Claudias Mutter konnte die Situation erst entschärfen, indem sie sich ausdrücklich bei der Tochter für den Verstoß entschuldigte und versprach, den Muffin auf dem Heimweg nicht anzutasten.

Wäre Claudias Psyche normal entwickelt, könnte sie ihren Ärger problemlos überwinden. Stattdessen aber zwingt sie ihre Mutter, ihr „Fehlverhalten“ einzusehen und sich dafür zu entschuldigen. Die Ursache ist laut Winterhoff, dass sie die natürliche Autorität ihrer Mutter nicht erkennt. Für Claudia ist sie selbst und nicht ihre Mutter diejenige, die bestimmt. Und die Mutter bestätigt diese verdrehte Auffassung der Tochter durch ihre Reaktion. In der Folge kann Claudia nicht lernen, ihre Frustration auszuhalten und damit umzugehen.

Ein Erziehungsstil ohne Autorität birgt also ernsthafte Gefahren. Wie aber sieht eine normale Entwicklung der kindlichen Psyche aus?

Normalerweise durchläuft die psychische Entwicklung eines Kindes drei Phasen.

Nach Lehre der Tiefenpsychologie besteht die Psyche aus zwei Komponenten. Zum einen sind das wichtige Funktionen wie beispielsweise unsere Frustrationstoleranz oder Leistungsbereitschaft, zum anderen Weltbilder, nach denen wir unser Verhalten ausrichten. Nach Sigmund Freud, dem Vater der Psychoanalyse, durchläuft die Entwicklung der kindlichen Weltbilder drei Phasen, die jeweils die Funktionen der Psyche bestimmen.

Die erste Phase ist die orale Phase. Sie beginnt mit der Geburt und hält etwa bis zum Alter von zwei Jahren an. Hier lebt das Kind nach dem Weltbild „ich bin, was ich bekomme“ und liebt es, alles Greifbare in den Mund zu stecken. Es erfährt die Welt durch Lutschen, Lecken, Saugen, Schmecken und Beißen.

Der oralen Phase folgt nach Freud die anale Phase im Alter von zwei bis drei Jahren. Hier können wir das Weltbild des Kindes mit den Worten „ich bin, was ich behalte oder abgebe“ zusammenfassen. In dieser Zeit bemerkt das Kind, dass es über sich selbst bestimmen kann, erst über Blase und Darm – so erklärt sich der Name der Phase –, dann über das eigene Verhalten. Es folgen die ersten Trotzreaktionen und Versuche, den eigenen Willen durchzusetzen. Doch im dritten Lebensjahr erkennt das Kind, dass auch Erwachsene eigenständig sind und zudem größer und mächtiger.

Die dritte Phase ist schließlich die magisch-ödipale Phase, die im Alter von vier oder fünf Jahren beginnt. Hier lautet das Weltbild des Kindes: „Ich bin, was ich mir vorstelle.“ Es fängt an, seine Fantasien auszuleben und sieht beispielsweise in einem umgedrehten Topf eine Schildkröte. Zudem nimmt es erstmalig Konkurrenzsituationen wahr – wenn etwa Mama und Papa unter sich reden und das Kind nicht länger der Nabel der Welt ist. Diese Erfahrung vermittelt dem Kind seinen Platz in der Familie und sorgt dafür, dass es sich in das soziale Gefüge integriert.

Das Problem unserer Zeit ist nun, dass Kinder diese entscheidenden Phasen nicht mehr normal durchlaufen. Vor allem drei Arten von Fehlverhalten in unserer Gesellschaft sind schuld daran. Diese sehen wir uns in den nächsten Blinks genauer an.

Eine partnerschaftliche Erziehung verhindert, dass Kinder wichtige psychologische Funktionen entwickeln.

Viele Mütter und Väter sehen ihre Familie heute als Team. Rollen und Aufgaben werden gemeinsam und gerecht verteilt. Die Eltern erhalten zwar den Titel „Familienmanager“, aber dennoch sind alle Familienmitglieder Partner auf Augenhöhe. Also alles top im Familien-Alltag? Leider nein.

Bei diesem Modell tritt Partnerschaftlichkeit an die Stelle echter Erziehung. Es entwirft Kinder wie kleine Erwachsene samt voll ausgebildeter Persönlichkeit, was jedoch eine grobe Fehleinschätzung ist. Meinen wir zum Beispiel, unser Kleinkind sei „willensstark“, liegt das an seinem egozentrischen Weltbild. Mit echter Willensstärke hat das nichts zu tun.

Dieser Irrglaube hat fatale Folgen. In der Schule schieben die Eltern den Lehrern die Schuld zu, wenn ihr Kind nicht mitarbeiten will und andere ständig stört. Sie unterstützen die vermeintliche „Willensstärke“ ihres Kindes, das sich schließlich voll entfalten soll. Ihr Kind langweile sich eben und könne deshalb nicht zeigen, wie gut es eigentlich ist.

Zudem diskutieren Eltern mit ihren Kindern zunehmend „Erwachsenenthemen“. Das reicht sogar bis hin zu den eigenen Beziehungsproblemen. Das ist, als würde man eine Schülerin zum Tennistraining schicken und bereits in der ersten Stunde über taktische Finessen fabulieren, ohne vorher die grundlegenden Spielregeln zu erklären. Sie wird bestimmt ihr Bestes geben, lernt aber nicht, wie sie den Schläger halten oder wohin sie den Ball schlagen soll.

Kindern, die als gleichberechtigte Partner wahrgenommen werden, entgeht das Erlernen wichtiger psychischer Funktionen. Ihnen mangelt es beispielsweise an Leistungsbereitschaft, an der Kenntnis ihrer Grenzen oder der Fähigkeit, sich in Gruppen zu integrieren. Dies sind entscheidende soziale Fähigkeiten, ohne die sie im Erwachsenenalter ernsthafte Schwierigkeiten haben werden, einen Job oder einen Partner zu finden. Natürlich will niemand nur folgsame, immer brav ja-sagende Musterkinder. Den Nachwuchs deshalb als erwachsenen Partner zu betrachten, ist jedoch der falsche Weg. Es mag gut gemeint sein, schadet aber dem Kind.

Kinder müssen soziale Verhaltensweisen üben, wie eine angehende Ärztin Lateinvokabeln paukt. Denn die Nervenzellen entwickeln sich nur, wenn sie auch genutzt werden. Kinder müssen lernen, auch lästige Aufgaben ohne Meckern zu erledigen. Wenn sie sich aber jederzeit frei dagegen entscheiden dürfen, wird das schlichtweg nicht passieren.

Die partnerschaftliche Erziehung ist leider weitverbreitet. Sie ist für sich genommen schon schlimm genug, ebnet darüber hinaus aber auch den Weg für einen zweiten, noch schlimmeren Erziehungsfehler.

Die Projektion der eigenen Situation auf das Kind kehrt die Machtverhältnisse in der Familie um.

Wir leben in Zeiten der Überforderung und Reizüberflutung. Tausende Entscheidungen wollen täglich getroffen werden, alternative Fakten erschweren uns die Orientierung und die sozialen Medien ersetzen zunehmend echte menschliche Nähe. In dieser Welt, in der jeder sich selbst am nächsten ist, fühlen sich viele Erwachsene mitunter so verloren wie kleine Kinder. In der Folge begehen sie einen verhängnisvollen Erziehungsfehler, nämlich die eigenen Bedürfnisse auf ihre Kinder zu übertragen. Das ist eine gefährliche Projektion.

Nehmen wir etwa das menschliche Bedürfnis nach Anerkennung. Oftmals machen Eltern ihr eigenes Selbstverständnis ganz vom Kind abhängig. Ihr Bedürfnis nach Anerkennung wird zum Bedürfnis nach Anerkennung ihres Kindes. Kommt das Kind mit schlechten Schulnoten nach Hause, sehen sie darin ihr eigenes Versagen.

Diese Denkweise verkehrt die familiären Machtverhältnisse: Es ist nicht mehr das Kind, das abhängig von seinen Eltern ist, sondern die Eltern sind abhängig von ihrem Kind und dessen Wohlverhalten. Das Problem dabei ist, dass die Eltern dadurch für ihre Kleinen erpressbar werden. Wenn ein Kind einen Wunsch nicht erfüllt bekommt, wehrt es sich: Es schreit und weint oder schlägt um sich. Damit es gar nicht erst so weit kommt, weichen projizierende Eltern solchen Konflikten aus. Sie verwechseln die momentane Unzufriedenheit des Kindes mit einem Mangel an Liebe ihnen gegenüber.

Projizierende Eltern versuchen, es ihren Kindern stets recht zu machen. Das Kind will Schokolade? Dann bekommt es welche. Das Kind will aufbleiben und fernsehen? Dann sei es so. Zudem wird den Aussagen des Kindes fraglos Glauben geschenkt. Behauptet es, gestern in der Schulkantine bereits Spinat gegessen zu haben, wird heute eben etwas anderes gekocht. Dass es eventuell lügt, weil es keinen Spinat mag, wird gar nicht erst in Betracht gezogen. Sie meinen, ihr Kind wäre immer ehrlich zu ihnen, denn sie selbst würden es schließlich auch nicht anlügen.

Die elterliche Projektion führt schließlich dazu, dass Kinder tiefenpsychologisch auf der Entwicklungsstufe von 18 bis 30 Monaten stehen bleiben. Sie lernen nicht, gesellschaftliche Regeln oder die Bedürfnisse anderer Menschen zu respektieren und haben deshalb große Schwierigkeiten, sich in soziale Gruppen einzufügen.

Die Projektion ist somit ein ernsthafter psychologischer Missstand. Nur selten sind sich die Betroffenen dessen auch bewusst, denn ihr Verhalten erscheint ihnen selbst vollkommen normal und natürlich. Doch so schlimm die Projektion auch ist, noch gravierender ist ein dritter Fehler bei der Kindererziehung.

Bei der Symbiose gehen jegliche psychischen Grenzen zwischen Eltern und Kindern verloren.

Viele von uns haben das schon einmal erlebt: Wir reden mit einer Mutter, während ihr Kleinkind munter auf ihr herumturnt. Es zieht an ihren Haaren und zerrt am Rock – doch anstatt ihr Kind zurechtzuweisen, tut die Mutter so, als wäre nichts. Ein solches Verhalten ist oftmals Ausdruck einer symbiotischen Beziehung, bei der das Selbst von Mutter oder Vater mit dem des Kindes verschmilzt.

Bei der Symbiose nehmen Eltern ihr Kind als Teil ihrer selbst wahr, quasi wie ein eigener Körperteil. Daher stört es die Mutter auch nicht, wenn ihr Kind auf ihr herumtanzt. Sie bemerkt es kaum oder es fühlt sich für sie an, als würde sie selbst sich durchs Haar streichen oder sich die Kleidung zurechtrücken. Problematisch daran ist, dass Eltern im Zustand der Symbiose unmöglich erziehend wirken können. Ihren Kindern Frechheit oder Ungezogenheit vorzuwerfen, erscheint ihnen ebenso absurd, wie den eigenen Arm oder das Bein als frech oder ungezogen zu betrachten.

Im Schicksal der Eltern sind die Kinder mitgefangen. In den ersten zehn Monaten des Lebens ist das natürlich normal. Eltern müssen eng mit ihren Kindern zusammenleben, um deren Bedürfnisse zu erkennen und zu erfüllen. Aber immer öfter verharren sie in diesem Zustand und trennen sich auch später psychisch nicht von ihren Kindern, wie es nötig wäre.

Das erklärt, warum Kinder in der Folge kein Konzept von anderen Menschen entwickeln können. Verharrt die Entwicklung des Kindes bei der Projektion in der analen Phase, wird sie bei der Symbiose noch früher gestoppt. So lernt das Kind nicht nur nicht, dass andere Menschen eigenständig sind – es lernt noch nicht einmal, dass es andere Menschen überhaupt gibt. Da es die Grenzen der Eltern nicht erfährt, überträgt es seine Ideen von Gegenständen auf Menschen: Auf einem Hocker kann man sitzen, auf der Mutter auch; an einer Schnur kann man ziehen, an Mutters Haaren auch; an einem Geschirrtuch kann man zupfen, an Mamas Bluse auch.

Eine normale Reaktion der Mutter wäre, ihr Kind liebevoll aber bestimmt von ihrem Schoß fernzuhalten, während sie im Gespräch ist. So würde ihr Kind verstehen, dass Menschen etwas anderes sind als Gegenstände.

Was aber können wir tun, um solche Fehler fatalen Erziehungsfehler zu vermeiden?

Alle Beteiligten sind gefragt, Kindern durch Struktur und Hierarchie eine normale Entwicklung zu ermöglichen.

Kein Kind ist an sich böse oder frech. Manche Kinder zeigen jedoch Verhaltensauffälligkeiten, für die sie nichts können, und wir nennen sie dann böse oder frech. Sie können sich nicht „besser“ verhalten, da ihnen nie die Möglichkeit gegeben wurde, eine gesunde Persönlichkeit zu entwickeln. Um dem entgegenzuwirken, sind alle Bezugspersonen gefragt – Eltern und Großeltern, Lehrer und Erzieher.

Die Eltern stehen natürlich als Erstes in der Pflicht. Aber auch die Erzieher in der Kita und die Lehrerinnen in der Schule müssen sich ihrer Verantwortung stärker bewusst werden, die psychologische Reifung der Kinder zu fördern. Auch die Großeltern können ihren Beitrag leisten, dass die Enkelkinder eine normale Entwicklung durchlaufen, indem sie ihnen eine vernünftige Art des Zusammenlebens vorleben.

Allgemein müssen wir anerkennen, dass unsere Kinder – ebenso wie wir selbst – nicht bloß Teil einer kleinen Familie, sondern einer größeren Gesellschaft sind. Und wir müssen darauf achten, dass unsere eigenen sozialen Schwierigkeiten nicht auf unsere Kinder abfärben. Welche schlimmen Folgen die Überforderung mit der Gesellschaft im Extremfall haben kann, zeigt das Phänomen der Hikkikomori in Japan. So bezeichnet man dort Menschen, die sich aus Angst vor der Außenwelt über Jahre hinweg in ihren Zimmern einsperren.

Zudem dürfen wir Autorität und Hierarchie nicht länger als Folterinstrumente vergangener Zeiten verteufeln. Vielmehr handelt es sich dabei um nötige Stützen, die unsere Kinder brauchen, damit sie sich in dieser Welt zurechtfinden. In konkreten Situationen sollten Kinder daher deutlich angeleitet werden.

Dies betrifft auch die Gefühle, die Kinder hauptsächlich durch Spiegelung entwickeln. Wenn sich die Eltern über gutes Verhalten sichtbar freuen und ebenso deutlich ihren Ärger zeigen, wenn sie ein Verhalten stört, dann merkt sich das Kind das und lernt daraus. Bei kleinen Kindern sind darüber hinaus klare begleitende Worte gefordert wie: „Ich ärgere mich über das, was du gerade getan hast.“ Oder: „Es macht mich glücklich, wenn du das tust.“

Wollen wir unsere Kinder nicht zu kleinen Tyrannen heranzüchten, so sind deutliche Ansagen in der Erziehung unverzichtbar. Denn wenn wir es versäumen, unserem Nachwuchs Grenzen zu setzen, schaden wir ihm.

Zusammenfassung

Die Kernaussage dieser Blinks ist:

Die Kinder von heute sind zunehmend verhaltensauffällig. Grund dafür sind moderne Erziehungsmethoden, die Kinder als gleichberechtigte Partner begreifen und so eine normale psychologische Entwicklung verhindern. Damit unsere Sprosse nicht zu Tyrannen werden, müssen wir ihnen Grenzen setzen und unsere elterliche Autorität anerkennen, statt uns davor zu drücken.

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