Nüchtern Zusammenfassung
Was drin ist für dich: Ein besseres Verständnis für die Gefahren des Alkohols.
„Nie wieder Alkohol!“ Das schwören sich viele, wenn sie auf einer Party mal wieder zu tief ins Glas geschaut haben und am nächsten Morgen vom schlechten Gewissen und einem mörderischen Kater geplagt werden. Aber wirklich aufhören, das tun die wenigsten.
Daniel Schreiber war fünfzehn Jahre lang dem Alkohol verfallen, bis er es schließlich schaffte, sich mithilfe der Anonymen Alkoholiker von der Sucht zu befreien. Er weiß aus eigener Erfahrung, wie schwer es suchtgefährdeten Menschen fällt, der Volksdroge Alkohol zu entgehen. Denn der Rausch ist tief in unserer Kultur verankert und seine Gefahren werden von der Gesellschaft verdrängt.
In den Blinks zu Nüchtern (2014) erfährst du, welche Tabus und Vorurteile sich um das Thema Alkohol ranken, wie die Alkoholabhängigkeit sich im Gehirn festschreibt und wie Selbsthilfegruppen Abhängigen helfen, trotzdem ein glückliches Leben zu führen – ohne Alkohol.
Außerdem lernst du,
- warum schon ein Glas Wein pro Abend der Gesundheit schadet,
- wie wir unsere Ängste auf prominente Persönlichkeiten auslagern und
- was Selbsthilfegruppen und das Trinken gemeinsam haben.
Ihre Alkoholabhängigkeit erkennen die meisten Menschen erst, wenn es schon zu spät ist.
Stell dir vor, wie du nach einem anstrengenden Tag eine Flasche deines Lieblingsweins öffnest. Schon nach wenigen Schlucken spürst du, wie du dich entspannst. Alltagsstress, Beziehungsprobleme und Erfolgsdruck treten in den Hintergrund, das Leben fühlt sich wieder leichter an. Klingt nach einem normalen Dienstagabend? Zugegeben, die Grenze zwischen Genuss und Abhängigkeit ist nicht einfach zu erkennen und viele überschreiten sie, ohne es zu merken. So war es auch für Schreiber.
Heute ist sich der Autor sicher, dass seine Alkoholabhängigkeit mit ebendiesem Genuss anfing. Nach dem Studium lebte er in New York und teilte sich jeden Abend mit seinem Partner eine Flasche Wein – sein Leben schien perfekt. Er spürte zwar manchmal, dass der Alkohol ihm wichtiger war, als er es sein sollte, doch auch die Lust an diesen Momenten wurde größer und schon bald blieb es nicht mehr bei der halben Flasche.
Aber wie gefährlich ist ein gemäßigter Alkoholkonsum, wenn selbst die Bundeskanzlerin Angela Merkel in einem Fernsehinterview sagte, ein Glas Wein zum Abendessen sei völlig normal?
Fakt ist: Schon dieses eine abendliche Glas Wein ist gesundheitsschädlich. Es erhöht das Risiko für Brust-, Magen- und Speiseröhrenkrebs und greift durch seine Apfel- und Bernsteinsäuren die Mundhöhle und den Rachen an.
Doch das eigentliche Problem ist, dass es bei vielen Menschen nicht bei einem Glas bleibt. In einem schleichenden Prozess, der manchmal ein Jahr, manchmal zehn Jahre dauert, werden daraus zwei Gläser, dann drei … und irgendwann zwei Flaschen.
Bislang ist nicht vollständig geklärt, warum manche Menschen mehr und andere weniger zur Abhängigkeit neigen. Die Gene und auch psychische Belastungen spielen zwar eine Rolle, aber weitaus entscheidender ist offenbar, ob die Person in einem stark trinkenden Umfeld aufwuchs und ob sie Alkohol grundsätzlich gut verträgt. In den trinkfreudigen westlichen Gesellschaften trifft beides auf sehr viele Menschen zu, und so ist es mit der Alkoholabhängigkeit wie mit einer Lotterie: Es kann jeden treffen – und das schon bei nur einem Glas pro Abend.
Hinzu kommt, dass sich Abhängige erst nach durchschnittlich zehn Jahren professionelle Hilfe suchen. Meist wenden sie sich erst dann an Selbsthilfegruppen oder Suchtkliniken, wenn die körperlichen Schäden unübersehbar sind: Leberzirrhose, Herz-Kreislauf-Störungen, Tumore, Delirium. Auch Autounfälle, zerrissene Familien und verlorene Jobs zählen zu den traurigen Folgen des Alkoholismus. Aber warum muss es überhaupt so weit kommen? Wieso merken Betroffene nicht früher, was sie sich und anderen antun?
Alkoholabhängigkeit ist eine neurologische Krankheit, die die Struktur des Gehirns verändert.
Von außen betrachtet sah Schreibers Leben jahrelang aus wie ein glamouröser Egotrip. Er arbeitete als Kunstkritiker, ging auf Pressereisen und Vernissagen, wo der Champagner floss und auch das Kokain nicht fehlte. Zu Hause trank er guten Wein aus dem Feinkostladen. Bald häuften sich die abgesagten Verabredungen, die verkaterten Arbeitstage, die verpassten Flüge und die Schulden. Er enttäuschte Familie und Freunde. Trotz zunehmender Depressionen und sogar Suizidgedanken empfand er den Alkohol in diesen Jahren als so etwas wie seine große Liebe.
Was für Außenstehende wie ein Mangel an Disziplin oder Moral aussieht, ist in Wahrheit eine neurologische Krankheit. Ihre inneren Abläufe zu verstehen hilft auch dabei, Suchtkranken mit mehr Verständnis zu begegnen.
Alkohol hat akute sowie langfristige Wirkungen auf alle Bereiche des Körpers. Über den Darm gelangt er ins Blut und dann schnell ins Gehirn. Im Nucleus accumbens, dem Belohnungs- oder auch Lustzentrum, enthemmt er zunächst die Übertragung des Botenstoffs Dopamin, sodass Glücksgefühle entstehen. Allerdings bleibt es nicht bei diesem Hochgefühl, sondern es kommt zu einer noch nicht gänzlich erforschten Kettenreaktion, die alle Bereiche des Gehirns beeinträchtigt.
Sämtliche vom Gehirn gesteuerten Funktionen wie Furcht, Aggression, Sexualität, Erinnerung, Willensstärke, innerer Antrieb, Emotionsbewertung und Entscheidungsfähigkeit werden betroffen. Für einen Abend kann das eine befreiende oder auch lustige Erfahrung sein. Doch bei regelmäßigem Konsum verändert sich nicht nur unsere gefühlte Wahrnehmung. Die Struktur des Gehirns verändert sich – und zwar irreversibel. Genauso wie du Fahrradfahren oder Schwimmen lernst und nie wieder verlernst, ist es auch mit dem Trinken.
Dieser Vorgang heißt Neuroadaption und ist eine Art Neuverdrahtung im Gehirn. Er führt dazu, dass Menschen immer mehr Alkohol vertragen. Gleichzeitig braucht das Belohnungszentrum auch immer mehr Alkohol, um die gewünschten Hochgefühle auszulösen. Das Gehirn gewöhnt sich an diese Wahrnehmung und macht den Rausch zum neuen Normalzustand. Alles andere wird für Alkoholkranke immer anstrengender, der Alltag reizt sie und sie leiden unter Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Konzentrations- und Gedächtnisproblemen.
Die gestörte Balance der Botenstoffe im Gehirn sorgt dafür, dass sie Ruhe, Entspannung, Glück, Mut und Selbstvertrauen nur noch im Rausch erfahren. Der Alkohol ist nun Gift und Heilmittel in einem.
Trotz des Wissens, dass es sich bei Alkoholabhängigkeit um eine Krankheit handelt, haben Abhängige mit Vorurteilen zu kämpfen. Wer versucht, offen über die Krankheit und deren Folgen zu sprechen, stößt oft auf Ablehnung und Unverständnis.
In Deutschland herrscht ein besonders ungesunder Umgang mit dem Alkohol.
Wer viel Alkohol verträgt und trinkt, gilt in Deutschland nicht als gefährdet oder gar krank, sondern im Gegenteil als trinkfest und bodenständig. Alkohol ist ein fester Bestandteil der deutschen Kultur – und das spiegelt sich in erschreckenden Statistiken zu den Schäden des Konsums wider. Es wäre an der Zeit, dieses Problem offen zu thematisieren.
Die Trinkfreude der Deutschen ist nämlich nicht nur ein Klischee. Tatsächlich trinken die Menschen in Deutschland jährlich doppelt so viel wie der weltweite Durchschnitt, nämlich 12,1 Liter reinen Alkohol pro Kopf. In Form von Bier, Wein und anderen Spirituosen entspricht das ungefähr dem Volumen einer Badewanne.
Neben den unermesslichen sozialen und psychologischen Schäden, die der Konsum im Leben der Einzelnen anrichtet, sprechen die Statistiken für sich: Etwa 74.000 Menschen sterben in Deutschland jährlich an den Folgen des starken Alkoholkonsums. Jedes Jahr kommen 10.000 Säuglinge mit Alkoholschäden auf die Welt, 4000 von ihnen mit einem voll ausgeprägten fetalen Alkoholsyndrom, einer angeborenen geistigen und körperlichen Schwerbehinderung. Insgesamt wachsen 2,5 Millionen Kinder in einem stark alkoholisierten Umfeld auf, und haben somit eine höhere Wahrscheinlichkeit, selbst alkoholabhängig werden.
Zwar werden in Deutschland jährlich 10 Millionen Euro in Aufklärungskampagnen investiert, doch dem steht Alkoholwerbung für rund 530 Millionen Euro entgegen. Fast überall und jederzeit ist der Alkohol verfügbar, selbst an der Tankstelle. Während Tabak immer teurer wird und Aufschriften vor tödlichen Folgen warnen, bleibt Alkohol billig und beliebt. Weil er so niedrig besteuert ist, kostet uns ein Bier an vielen Orten sogar weniger als eine Flasche Wasser.
Die trinkfreudige deutsche Gesellschaft spricht nicht gern über diese Probleme. Themen wie Abhängigkeit, Entzug oder Selbsthilfegruppen sind hierzulande ein Tabu. Den Satz: „Ich bin alkoholabhängig“ konnte Schreiber lange Zeit nicht aussprechen, selbst als er schon trocken war. Denn mit dem düsteren Bild, das in Deutschland von der Alkoholsucht herrscht, wollte er sich nicht identifizieren. Vorurteile, wie zum Beispiel, dass Alkoholabhängige disziplinlos oder psychisch labil seien, beschämen die Betroffenen. Und diese Scham führt dazu, dass sie sich isolieren und mit ihrer Krankheit allein bleiben.
Durch schockierende Bilder schüren Medien Vorurteile gegenüber der Alkoholkrankheit.
In TV-Shows und Magazinen begegnen wir immer wieder denselben abschreckenden Bildern des Alkoholismus. In der Klatschspalte sind es Promis wie Britney Spears oder die deutsche Schauspielerin Jenny Elvers. Und im Reality-TV sind es Menschen aus sozial schwachen Schichten, denen wir mit einer Mischung aus Schadenfreude und Fremdscham dabei zuschauen, wie sie Wodkaflaschen horten und mit bleichen Gesichtern ihre Sucht beichten.
Unsere Vorstellung von Alkoholismus ist geprägt von Schockbildern, die mit der Realität der Alkoholabhängigkeit meist wenig zu tun haben. Stattdessen zeigen sie Vorurteile und Extreme und verhindern, dass wir uns sachlich mit dem Alkoholproblem auseinandersetzen.
Funktionierende Alkoholiker treffen wir nicht nur am Rande der Gesellschaft, sondern überall: in der Anwaltskanzlei, auf der Baustelle, im Lehrerzimmer. Die wenigsten von ihnen fallen durch Klischees wie zitternde Hände oder eine Alkoholfahne auf. Viele sind ein ganz und gar unauffälliger Bestandteil der Bevölkerung, so wie auch Schreiber es war. Selbst in seinen schlimmsten Phasen trank er nie so viel, wie es zum Beispiel Jenny Elvers in einer RTL-Dokumentation berichtete. Sie brauchte jeden Tag mindestens eine Flasche Wein, Sekt und Wodka, um überhaupt über die Runden zu kommen.
Indem wir die Alkoholkrankheit in ihre Extreme verzerren, erlauben wir uns zu denken: Solange mein Leben nicht so außer Kontrolle gerät, ist alles in Ordnung. Wir können beruhigt weitertrinken, ohne uns ständig damit zu konfrontieren, dass wir uns selbst vergiften. Auf diese Weise erfüllen die Medienbilder eine soziale Funktion: Sie lagern die kollektiven Ängste einer trinkfreudigen Gesellschaft auf einige wenige Extrembeispiele aus.
Dieser Vorgang hat eine historische Tradition. Schon in der Antike brachten Menschen ihren Göttern Opfer dar, um von deren Zorn verschont zu bleiben. Was damals gemeinsam in Ritualen gefeiert wurde, das findet heute in den Medien statt: Wir stellen einzelne Personen als Suchtopfer ins Rampenlicht, um selbst genau so weitermachen zu können wie bisher.
Dass viele Menschen insgeheim Angst vor der Alkoholkrankheit haben, fällt vor allem trockenen Alkoholikern auf. Denn sobald sie auf einer Party einen Drink ablehnen, stoßen sie auf Reaktionen wie: „Du verstehst ja gar keinen Spaß.“ Viele können sich offenbar Spaß ohne Alkohol gar nicht vorstellen. Auf unbewusste Weise drücken sie so ihre Angst aus, selbst eines Tages nicht mehr trinken zu können. Sie wissen, dass es irgendwann nur noch zwei Optionen gibt: Nüchtern werden oder am Alkohol sterben.
Viele Menschen trinken Alkohol, um dem Erfolgsdruck unserer Arbeitskultur standzuhalten.
Jahrelang glaubte Schreiber, der Alkohol würde ihm helfen, Kontakte zu knüpfen, seine Arbeitsleistung aufrechtzuerhalten und seine Schreibblockaden zu lösen. Vielen geht es heutzutage ähnlich, und sie gehen hohe gesundheitliche Risiken ein, um mit dem Leistungsdruck unserer Gesellschaft klarzukommen.
Wir leben in einem neoliberalen System, das uns vermittelt: Mit Ehrgeiz und Fleiß kann es jeder an die Spitze schaffen. Wir alle sind für unseren Erfolg, aber auch für unser Scheitern selbst verantwortlich. Manchmal ist dieser Gedanke motivierend und der Beruf ist für viele Menschen eine Quelle von Bedeutung und Lebenssinn. Häufig entsteht daraus aber auch ein enormer Erfolgsdruck, und die Angst, zu scheitern und finanziell abzusteigen, wird für viele Menschen zur ständigen Belastung.
Schlagwörter wie „Stressgesellschaft“ und „Burn-out“ sind in aller Munde, trotzdem sprechen die wenigsten offen über die Angst vor dem Scheitern. Laut dem Soziologen Richard Sennett ist das Scheitern sogar das größte Tabu unserer Zeit. Und wie gehen wir mit dieser kollektiven Angst um, wenn wir nicht offen darüber reden können? Richtig, wir betäuben sie mit Alkohol.
Das sogenannte Stresstrinken ist höchstgefährlich, weil es so schnell zur Gewohnheit wird und uns davon abhält, über unsere eigentlichen Probleme nachzudenken. Anstatt zu überlegen, ob der Job eine zu große Belastung darstellt und ob es Alternativen gibt, nutzen wir den Alkohol, um abzuschalten und negative Gefühle zu verdrängen.
Psychologische Forschungen haben ergeben, dass wir uns unter Alkoholeinfluss stärker und fähiger fühlen und uns Hürden plötzlich gar nicht mehr so groß erscheinen. Diese ermutigende Wirkung half auch Schreiber über viele Jahre, denn als schüchterner Mensch hätte er sich sonst nicht getraut, bei Veranstaltungen auf fremde Personen zuzugehen. Außerdem war er überzeugt, dass er nur alkoholisiert ein Schriftsteller sein könne. Viele Schriftsteller, Künstlerinnen und Intellektuelle verfallen diesem Mythos und glauben, ihre kreativen Leistungen und ihre intensive Lebenswahrnehmung seien nur im Dauerrausch möglich.
Alkoholkranke, die mit dem Trinken aufhören, erleben tatsächlich oft eine Karrierekrise. Als Schreiber nüchtern wurde, verlor er kurze Zeit später seinen Job. Nach einer kurzen Verzweiflungsphase merkte er allerdings, dass dies eigentlich ein, großer Segen war. Endlich hatte er die Freiheit, sich mit seinen Ängsten und inneren Werten auseinanderzusetzen. Er lernte, sie zu akzeptieren, und erfüllte sich seinen Traum: Er hörte auf, als Angestellter für Magazine zu arbeiten, und wurde freier Autor.
In Selbsthilfegruppen finden Alkoholabhängige Akzeptanz und Verständnis und lernen, wie man nüchtern glücklich leben kann.
Schreiber wusste lange um sein Suchtproblem, konnte sich aber einfach kein Leben ohne Alkohol vorstellen. Er musste erst durch eine absolute Tiefphase gehen, um zu merken: Auch ein Leben mit Alkohol ist nicht mehr möglich. Als ihm ein Freund von den Anonymen Alkoholikern erzählte, willigte Schreiber in einem seltenen Moment der Klarheit ein, zu einem Treffen zu gehen.
Die Anonymen Alkoholiker wurden 1935 von dem Börsenmakler William Griffith Wilson und dem Arzt Robert Holbrook Smith gegründet. AA ist eine basisdemokratische Bewegung, die sich ohne fremde Finanzierung komplett unabhängig organisiert. Sie besteht nur aus Alkoholikern, die anderen Alkoholikern helfen. Die Gründerväter entwarfen auch das berühmte Zwölf-Schritte-Programm, das AA und andere Gruppen, wie die Guttempler oder der Freundeskreis für Suchtkrankenhilfe, noch heute praktizieren. Die Abhängigkeit ist zwar nicht medizinisch heilbar, aber das Zwölf-Schritte-Programm hilft erwiesenermaßen, mit dem Trinken aufzuhören.
Das erste und wichtigste Prinzip besteht darin, die Krankheit beim Namen zu nennen. Denn erst, wenn der Abhängige seine Alkoholkrankheit akzeptiert, kann er damit umgehen. In Selbsthilfegruppen lernen Betroffene außerdem andere kennen, die ihnen zeigen, dass ein nüchternes Leben möglich und sogar schön ist: Sie teilen ihr Leid, aber auch Tricks und Wissen, um damit umzugehen.
Die Gewohnheit, zu trinken, ist so tief im Gehirn verankert, dass wir sie nicht einfach löschen können. Aber wir können sie mit guten Gewohnheiten überschreiben. Neben Hobbys und Ritualen wie Sport, Meditation oder Kochen, eignen sich AA-Meetings besonders gut als Ersatzgewohnheit, weil sie ähnlich befriedigende Gefühle auslösen wie früher das Trinken. Daniel Schreiber entwickelte in seinen alkoholisierten Jahren einen sechsten Sinn dafür, wer in einem Raum mit ihm trinken würde. Dieser Sinn springt an, wenn er die Selbsthilfegruppe betritt und es fühlt sich an, als würde allein diese Gemeinschaft die Botenstoffe in seinem Gehirn beruhigen. Unter Menschen zu sein, die die gleichen Probleme und Ängste teilen, spendet Sicherheit und Ruhe. Was früher nur im Rausch geschah, entsteht in Selbsthilfegruppen durch intensive Gespräche, Toleranz und Vertrauen.
Ein weiterer essenzieller Bestandteil des Programms ist, gemeinsam die dunkelsten Erinnerungen an die Krankheit hervorzuholen und wachzuhalten. Das kann sehr aufwühlend sein, doch wer die Tiefpunkte verdrängt, verfällt leicht dem Gedanken, jetzt sei er wieder in der Lage, ohne Probleme ein Gläschen zu trinken.
Für Schreiber war der wichtigste Schritt, zu akzeptieren, dass die Krankheit immer zu ihm gehören wird. Heute ist er sogar dankbar dafür, denn erst durch seine Abhängigkeit hat er gelernt, wie wertvoll und aufregend das Leben ist – besonders nüchtern.
Zusammenfassung
Die Kernaussage dieser Blinks ist:
Die Alkoholabhängigkeit löst eine irreversible Gehirnkrankheit aus und hat schwerwiegende gesundheitliche und psychische Folgen – sowohl auf das Leben der Erkrankten als auch auf die Menschen in ihrem Umfeld. Trotzdem herrscht besonders in Deutschland ein unbekümmerter und ungesunder Umgang mit dieser Volksdroge. Erst wenn die Alkoholkrankheit von Tabus und Vorurteilen befreit ist, können Abhängige mit der nötigen Offenheit damit umgehen und sich Hilfe suchen.