Name: Selbstbestimmt leben
Rating: 4.5 (383 reviews)
Author: Jorge Bucay

Was drin ist für dich: Denkanstöße für ein bewusstes und selbstbestimmtes Leben.

Es war einmal ein junger Mann, dem im Traum eine geheimnisvolle Stimme zuflüsterte: „Wenn du morgen früh vor die Tür trittst, erwartet dich dort ein einzigartiges Geschenk.“ Und wirklich: Als er erwachte, stand auf der Straße vor seinem Haus eine prächtige herrenlose Kutsche. Der junge Mann stieg ein, ließ sich in die roten Samtpolster sinken und freute sich. Doch nach wenigen Momenten merkte er, dass sich die Kutsche nicht vom Fleck bewegte. Sein Nachbar, der das Ganze beobachtet hatte, rief ihm lachend zu: „Du hast die Pferde vergessen!“ Also spannte der junge Mann zwei schwarze Rappen vor die Kutsche. Er schnalzte mit der Zunge, und ehe er sich versah, zogen sie ihn über Stock und Stein durch die Lande. Doch schon bald bekam er es mit der Angst zu tun: Die waghalsigen Gäule galoppierten immer wilder, sodass die Kutsche beinahe umstürzte. Als sie abermals an seinem Haus vorbeiraste, rief ihm der wartende Nachbar gegen den Fahrtwind zu: „Du hast den Kutscher vergessen!“ Der junge Mann sprang ab, lief ins Dorf und heuerte einen Kutscher an, um den wilden Pferden Herr zu werden. Wenn er von nun an mit seiner Kutsche ausfuhr, konnte er sich beruhigt zurücklehnen und die Fahrt genießen.

Diese Erzählung ist nicht bloß eine Geschichte, sondern eine Lektion über das Leben. Die Kutsche ist ein Sinnbild für deinen Körper, die Pferde stehen für deine Gefühle und der Kutscher – das ist dein Verstand. Nur wenn alle drei Elemente miteinander harmonieren, wird deine persönliche Lebensreise ein Erfolg. Nur dann hast du die Zügel in der Hand, nur dann kannst du frei und unabhängig über Route und Reisetempo entscheiden.

Das ist die Kunst, die Therapeut und Autor Jorge Bucay selbstbestimmt leben nennt: Wer selbstbestimmt lebt, weiß, wer er ist und was er will. Er kennt den Weg, der zu seinem ganz persönlichen Lebensglück führt.

In den folgenden Blinks wollen wir mit dir gemeinsam ein Stück dieses Weges gehen. Bist du bereit, die Grundlagen der selbstbestimmten Lebenskunst kennenzulernen? Dann los!

Abhängigkeit ist das größte Hindernis auf dem Weg zu einem selbstbestimmten Leben.

Es war einmal ein Mann, der schreckliche Angst hatte, sich selbst zu verlieren. „Was, wenn ich mich eines Tages nicht mehr im Spiegel erkenne und vergesse, dass ich ich bin? Oder wenn ich mich auf einem Foto nicht mehr von den anderen unterscheiden kann?“, fragte er sich angstvoll. Und weil ihm diese quälende Furcht keine Ruhe ließ, beschloss er, ab sofort nur noch braune Kleidung zu tragen. „So werde ich immer wissen, dass ich der Mann in Braun bin“, erklärte er. Gesagt, getan. Doch eines Tages luden ihn Freunde ein, schwimmen zu gehen. Da musste er seine Kleidung wohl oder übel ablegen. Er wurde zu einem Nackten unter Nackten. Um sich in der Menge nicht zu verlieren, band er sich ein braunes Band um den rechten Knöchel. Nachdem er ein wenig geschwommen war, löste sich das Band unmerklich ab und trieb ans Ufer. Dort fischte es ein anderer Badegast aus dem Wasser, und weil es ihm gefiel, knotete auch er sich das braune Band kurzerhand um den rechten Knöchel. Wenig später begegneten sich beide Herren in der Umkleidekabine. Verwirrt betrachtete unser Held den Fremden, der sein braunes Band trug, und fragte ihn schüchtern: „Entschuldigen Sie bitte. Sie sind der Mann in Braun. Aber können Sie mir auch sagen, wer ich bin?“

Und die Moral von der Geschicht’? Wenn wir uns davon abhängig machen, wie andere uns sehen, leben wir sehr gefährlich. Wenn wir den Blick von außen brauchen, um uns selbst zu erkennen, verlieren wir uns.

Diese Form von Abhängigkeit kommt besonders häufig in engen Freundschaften, Familien oder Liebesbeziehungen vor. Vielleicht hast du sogar schon mal selbst erlebt, wie es ist, ohne die Aufmerksamkeit anderer nicht leben zu können. Doch diese Sucht danach, bewundert, gebraucht oder wenigstens bemitleidet zu werden, hält dich in einem Zustand ewiger Unreife gefangen. Solange du den bestätigenden Blick des anderen auf dir brauchst, lebst du nicht selbstbestimmt.

Was also tun? Sich aus aller Abhängigkeit befreien und ein für alle Mal unabhängig werden? Das klingt so einfach, doch: Der Mensch ist ein soziales Wesen, das zur Befriedigung seiner Wünsche und Bedürfnisse immer ein bisschen auf andere angewiesen ist. Die Idee völliger Unabhängigkeit ist also eine Illusion.

Wenn wir uns aus dem Dilemma befreien wollen, müssen wir einen anderen Weg einschlagen. Die erste Station auf diesem Weg ist die Erkenntnis: Wir müssen verstehen, wo die Wurzeln des Problems liegen. Der nächste Blink ist deshalb eine Geschichte der menschlichen Abhängigkeit.

Die Kunst der Selbstabhängigkeit ist der Schlüssel zur Selbstbestimmtheit.

Völlige Abhängigkeit ist ungesund und völlige Unabhängigkeit gibt es nicht. Das haben wir in den letzten Blinks gelernt. Der Kompromiss zwischen diesen beiden Extremen ist die hohe Kunst der Selbstabhängigkeit. Schauen wir uns dazu ein Beispiel an – das Beispiel von Lisa.

Selbstabhängigkeit entsteht aus Selbstliebe.

Es war einmal ein König, der einen prächtigen Garten besaß. Doch obwohl die fähigsten Gärtner des Landes in seinem Dienst standen, waren seine Bäume und Blumen traurig und welk. Besorgt ging er hinaus und befragte seine geliebten Pflanzen, warum sie nicht wuchsen und gediehen. Die Eiche sagte: „Ach, wie soll ich gedeihen, ich kann ja nicht so groß werden wie die Pinie!“ Die Pinie wiederum klagte: „Ich bin ja nur eine armselige Pinie. Ich kann keine Trauben tragen wie der Rebstock.“ Der Rebstock jammerte: „Schau nur, wie hässlich ich bin. Ich kann nicht blühen wie die Rose.“ Doch selbst die schöne Rose weinte bitterliche Tränen: „Ich bin so klein und schwach. Wäre ich doch so stark und standhaft wie die Eiche!“ Nur die kleine Freesie schienen keine Sorgen zu plagen. Sie streckte ihre Blüten fröhlich der Sonne entgegen. Als der König sie fragte, warum sie denn als einzige nicht traurig wäre, antwortete sie ihm: „Hättet ihr keine Freesien gewollt, Majestät, hättet ihr keine gepflanzt. Also bin ich wohl so, wie ich bin, genau richtig.“

Mit der Selbsterkenntnis wachsen auch deine Fähigkeiten zur Lebensbewältigung.

Stell dir vor, du streifst gedankenverloren durch den wild verwucherten Garten hinter deinem Haus. Bei einer hochgewachsenen Hecke entdeckst du auf einmal etwas völlig Unerwartetes: Hinter dem Gestrüpp verbirgt sich eine Mauer. Sie gehört zu einem Anbau deines Hauses, in dem du noch nie zuvor gewesen bist. Du findest eine kleine Tür, drückst die Klinke hinunter und gehst hinein. Du stehst mitten in einem riesigen Werkzeugschuppen. In seinen Regalen stehen nicht nur die für die Gartenarbeit üblichen Hilfsmittel wie Heckenschere, Gartenschlauch und Rasenmäher, sondern auch Hammer, Nägel, Zangen, Schraubenzieher und Bohrmaschinen für den täglichen Bedarf. Manche Werkzeuge hast du schon zigmal in den Händen gehalten, andere hast du im Leben noch nie gesehen.

Key ideas in Selbstbestimmt leben

What is Selbstbestimmt leben about?

Seit seiner Erstveröffentlichung im Jahr 2000 ist Selbstbestimmt leben eine feste Größe in der Welt der Selbsthilfeliteratur. Der Ratgeber behandelt nichts Geringeres als die große Frage nach der Selbstbestimmung: Wie mache ich mich unabhängig von anderen? Wie schaffe ich es, mein Leben in die eigenen Hände zu nehmen?

About the Author

Der Argentinier Jorge Bucay versteht sich in erster Linie als Helfer: Mit seiner Arbeit als Psychiater, Gestalttherapeut und Autor unterstützt er andere Menschen dabei, sich selbst besser zu verstehen. Bucay hat zahlreiche Bücher veröffentlicht, unter anderem Das Buch der Begegnung (2001), Das Buch der Trauer (2001) und Das Buch der Weisheit (2005).