Die ständig steigenden Zahlen von Burn-outs und anderen Erschöpfungssymptomen legen nahe, dass heute immer mehr Menschen völlig überfordert sind. Wir geben meist der Digitalisierung und dem kapitalistischen Wachstumswahn die Schuld, aber diese Blinks zu Michael Winterhoffs Mythos Überforderung (2015) stellen eine andere Hypothese auf: Unsere Überforderung ist hausgemacht. Sie zeigen, wie wir zu einer entscheidungsmüden und verantwortungsscheuen Gesellschaft geworden sind – und wie wir wieder mündig und belastbar werden.
Michael Winterhoff arbeitet als Kinder- und Jugendpsychiater und als Autor. In Büchern wie Warum unsere Kinder zu Tyrannen werden und Deutschland verdummt untersuchte er die Auswirkungen aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen auf die Psyche von Kindern und Heranwachsenden. Seine Thesen werden in der Fachwelt kritisch betrachtet, aber seine Werke erfreuen sich großer medialer Präsenz und Aufmerksamkeit.
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Start free trialDie ständig steigenden Zahlen von Burn-outs und anderen Erschöpfungssymptomen legen nahe, dass heute immer mehr Menschen völlig überfordert sind. Wir geben meist der Digitalisierung und dem kapitalistischen Wachstumswahn die Schuld, aber diese Blinks zu Michael Winterhoffs Mythos Überforderung (2015) stellen eine andere Hypothese auf: Unsere Überforderung ist hausgemacht. Sie zeigen, wie wir zu einer entscheidungsmüden und verantwortungsscheuen Gesellschaft geworden sind – und wie wir wieder mündig und belastbar werden.
Es ist doch verrückt: Westliche Gesellschaften sind wohlhabender und stabiler als je zuvor, doch psychisch geht es den Menschen immer schlechter. Erschöpfungszustände und Burn-out sind inzwischen zu Volkskrankheiten mutiert. Immer mehr Angestellte sind am Limit und überreizt, wenn sie nicht sogar gegen die Überlastung streiken. Was ist passiert? Warum fühlen sich alle ständig überfordert?
Zunächst einmal scheint es, als hätten wir nicht gelernt, richtig mit der Digitalisierung umzugehen. Wir stehen unter einem permanenten Entscheidungszwang, weil wir theoretisch alles sofort per Mausklick oder Fingertipp erledigen können: Überweisungen tätigen, Urlaub buchen, Handytarife vergleichen. Shoppen, Freundschaften pflegen, Mails beantworten. Viele Menschen sind über ihr Smartphone inzwischen Tag und Nacht erreichbar.
Dazu kommt die Qual der Wahl unserer Konsumgesellschaft. Wir müssen abwägen: Cherry- oder Roma-Tomaten? Booking.com oder Airbnb? Flatrate oder Prepaid? Dem Psychologen Ernst Pöppel von der LMU München zufolge treffen wir heute mindestens zwanzigtausend Entscheidungen pro Tag. Das schlaucht gewaltig.
Die unzähligen Möglichkeiten setzen unser Hirn unter Dauerstress, und das lähmt unsere Entscheidungsfähigkeit, bis wir irgendwann resignieren. Wir kapitulieren vor der Flut an Optionen und können uns nur noch dafür entscheiden, nichts mehr zu entscheiden.
So kommt es, dass immer mehr von uns zu passiven Nicht-Entscheidern werden, die sich regelrecht freuen, wenn ihnen der Regen die Entscheidung übers Joggen abnimmt. Nicht-Entscheider zahlen ihre Rechnungen erst nach der letzten Mahnung und drohen schon am gigantischen Angebot in der Netflix-Mediathek zu scheitern.
Ein Zustand diffuser Angst vor dem nächsten Entscheidungszwang bestimmt unseren Alltag. Schon das Geräusch einer eingehenden E-Mail kann den Puls in die Höhe treiben. Diese ständige Alarmbereitschaft führt auf Dauer zu körperlicher und psychischer Erschöpfung.
Die diffuse Angst steigert unser Sicherheitsbedürfnis, und das macht uns anfällig für Manipulation. Wir schließen Versicherungen ab, die wir nicht brauchen, kaufen vermeintlich gesünderes Superfood und zahlen für Selbstoptimierungs-Apps, die unsere Kalorienzufuhr oder unseren ökologischen Fußabdruck überwachen.
Damit sind wir bei einem weiteren Widerspruch: Wir haben immer weniger Zeit, weil wir immer mehr mit uns selbst beschäftigt sind.