Name: Der Osten
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Author: Dirk Oschmann

Was drin ist für dich: Verstehen, woher die Wut vieler Ostdeutscher kommt.

Wie fühlt es sich an, wenn man eine Ostidentität übergestülpt bekommt? Welche Klischees und Vorurteile gehen damit einher? Und woher kommt das sinkende Vertrauen vieler Ostdeutscher in die Demokratie?

Solchen Fragen ging der Literaturprofessor Dirk Oschmann in einem FAZ-Artikel vom 4. Februar 2022 nach. Dabei griff er nicht zuletzt auch auf eigene Erfahrungen als Ostdeutscher zurück. Die Reaktionen auf seinen Artikel waren so stark – im Positiven wie im Negativen –, dass Oschmann das Thema jetzt noch genauer untersucht hat.

Dabei beschreibt er nicht nur die gravierende strukturelle Benachteiligung Ostdeutschlands, die selbst 30 Jahre nach dem Mauerfall noch immer herrscht. Er zeigt auch, dass vor allem am Westen liegt, wenn sich viele Ostdeutsche nicht als Teil der Gesellschaft fühlen. Und somit auch an der Frustration, die dazu führt, dass eine demokratiefeindliche Partei wie die AfD im Osten immer mehr an Stimmen gewinnt. Was muss gerade auch vonseiten des Westens geschehen, um die Spaltung der Gesellschaft aufzuhalten? Dieser Blink zeichnet Oschmanns Gedanken dazu nach.

Was ist der Osten?

Ganz neutral könnte man antworten: eine Himmelsrichtung. Aber damit ist es leider nicht getan. Denn wenn man sich die Klischees und Vorurteile ansieht, die den Osten Deutschlands betreffen, dann haben wir es ganz und gar nicht mit einer neutralen Himmelsrichtung zu tun.

Am besten, du überprüfst das mal an dir selbst: Was verbindest du zum Beispiel mit Süddeutschland? Berge, Brezeln, schönen Urlaub? Und mit Norddeutschland? Den hamburgischen Schnack? Die Weltoffenheit der Hafenstadt? Und in Westdeutschland liegen die fröhliche Karnevalsstadt Köln und die Bankenstadt Frankfurt.

Dagegen im Osten? Da stehen dreckige Plattenbauten, sind die Straßen löchrig und die Menschen ungebildet, arm und arbeitslos – woran sie natürlich selbst Schuld haben. Statt sich zusammenzureißen und ihr Leben auf die Reihe zu kriegen, wählen sie lieber AfD. Die Ossis sind also alle Nazis. Weshalb die Spaltung der deutschen Gesellschaft auf ihrem Mist wächst.

Zugegeben, das ist etwas spitz formuliert, aber negative Vorurteile gegenüber dem Osten sind in der deutschen Gesellschaft weit verbreitet. Wobei der Osten das Staatsgebiet der DDR umfasst, wie es bis zur Wende bestand, während der Rest des Landes, die sogenannten alten Bundesländer, als Westdeutschland gilt. Und der Westen ist die Norm, während der Osten nur die Abweichung davon ist.

Das zeigt sich in Bemerkungen wie der eines westdeutschen Professorenkollegen von Dirk Oschmann. Er lobte Leipzig dafür, dass es sich dort wie in einer ganz normalen westdeutschen Stadt lebe.

Nur ein kleiner, privater Ausrutscher bei einer Formulierung, oder? Mitnichten, denn dabei bleibt es leider nicht: Eine Herabsetzung des Ostens kommt immer wieder auch in aller Öffentlichkeit vor. So gab Armin Laschet 2016 zum Besten, ganze Landstriche im Osten hätten nie gelernt, Respekt vor anderen Menschen zu haben. Zur Erinnerung, Laschet ist Mitglied der größten gesamtdeutschen Partei, der CDU – und wollte 2021 sogar Kanzler werden.

Andere Beispiele lassen sich online finden. Da liest man, die Ostdeutschen litten an „Verfolgungswahn“, seien überhaupt „bescheuert“ und nichts weiter als „Pöbel“. Dafür sollten sie sich schämen. Na, was meinst du, sind das Hasskommentare aus irgendeinem anonymen 23? Weit gefehlt. Die Zitate stammen von dem westdeutschen Journalisten Nikolaus Blome. Und zwar aus einem Artikel auf Spiegel.de, einem der deutschen Leitmedien.

Aber ist denn wirklich gar nichts dran an den Vorurteilen gegenüber Ostdeutschen?

Sind alle Ossis Nazis?

Es lässt sich nicht leugnen, dass die rechtspopulistische Partei AfD in Ostdeutschland erfolgreicher ist als im Westen des Landes. Bei der Bundestagswahl 2021 waren es im Osten 20,5 Prozent der Stimmen und im Westen 8,5 Prozent. Was sagen uns diese Zahlen?

Natürlich sind 20 Prozent für eine demokratiefeindliche Partei eine Katastrophe. Aber alle Ostdeutschen als mehr oder weniger verkappte Nazis abzustempeln, geht schon allein an den Zahlen vorbei. Mehr als drei Viertel der ostdeutschen Wählerinnen und Wähler haben die AfD schließlich nicht gewählt. Die stärkste Partei im Osten war bei der Bundestagswahl die SPD.

Ist der Osten wirklich so benachteiligt?

Lassen wir gleich die Zahlen sprechen.

Laut Handelsblatt betrug der Lohnunterschied zwischen Ost und West 2021 durchschnittlich 22,5 Prozent. Das heißt, für die gleiche Arbeit bekommen Ostdeutsche auch 30 Jahre nach der Wiedervereinigung knapp ein Fünftel weniger Lohn. In einigen Branchen sind die Unterschiede noch größer. In der Textilindustrie ganze 69,5 Prozent. Und in der deutschen Vorzeigeindustrie schlechthin, der Automobilbranche, sogar 41,3 Prozent.

Können Ossis nicht mal aufhören zu jammern?

„Jammer-Ossi!“ Mit diesem Begriff sind seit Anfang der Neunzigerjahre Ostdeutsche gemeint, die sich über ihre Benachteiligungen beschweren. Auch Oschmann sieht sich dem Vorwurf des Jammerns ausgesetzt. Mit dieser Art der Klage würden sich Ostdeutsche doch nur selbst zu Opfern machen, heißt es dann weiter.

Dass Ostdeutsche allerdings keine selbst gemachten Opfer sind, sondern reale Benachteiligung erfahren, das haben dir hoffentlich die vorigen Abschnitte gezeigt. Jetzt wollen wir gucken, was der Begriff „Jammer-Ossi“ über diejenigen verrät, die ihn verwenden.

Key ideas in Der Osten

What is Der Osten about?

Auch 30 Jahre nach der Wende sehen sich Ostdeutsche mit vielen negativen Klischees konfrontiert. Welche sind das, und was verraten sie über diejenigen, die sie erfunden haben und immer noch verwenden: die Westdeutschen? In Der Osten (2023) zeigen wir, wie herabwürdigende Zuschreibungen und strukturelle Benachteiligungen für den Osten zu einer immer größer werdenden gesellschaftlichen Spaltung führen.

About the Author

Dirk Oschmann wurde 1967 in Gotha geboren. Er arbeitet als Professor für Neuere Deutsche Literatur an der Universität Leipzig. Sein Buch Der Osten basiert auf einem Artikel, den er im Februar 2022 in der FAZ veröffentlichte. Daraufhin kamen Reaktionen aus dem ganzen Land, sie waren so stark, dass Oschmann das Thema nun weiter vertieft hat.